Höhepunkte und Besonderheiten der Leipziger Hörspielproduktion

Ein Blick auf die Spielpläne von 1924-1991.

Vortrag von Matthias Thalheim.

[Zeit und Ort stehen noch nicht fest, werden aber hier rechtzeitig veröffentlicht]

Zur Leipziger Funkaufführung von „Das Grabmal des unbekannten Soldaten“ mit KLIX, Dr. KRONACHER, J. WITTE, GRETE SCHEER und PETER STANCHINA (v.l.n.r.)
Im Hintergrund zu sehen ist das illuminierte Leuchttableau auf dem der Regisseur verschiedene Kommandoschriften aufblinken lassen konnte:
ZU LAUT / LANGSAMER / SCHNELLER / ZU LEISE / VORTRETEN / SOLOSTIMME / BEGLEITUNG / ZURÜCKTRETEN / OBERSTIMME / MITTELSTIMME / UNTERSTIMME / DEUTLICHER / ZU VIEL / GENUG / HALT / ZU WENIG


Wer sich in die Anfangszeit des Hörspiels zurückversetzen will, sollte zwei besondere Umstände des damaligen Radios im Hinterkopf behalten: zum einen, dass die Stücke zu jener Zeit ausschließlich live gespielt wie gesendet wurden, und zum anderen, dass das Publikum sie vor allem per Kopfhörer empfing.
Dies macht die außergewöhnliche Innigkeit der Rezeption dieser jungen und nur vom Radio hervorgebrachten Kunstform in ihren ersten Jahren aus.

Die Sendespiele besaßen bei aller technischen Mangelhaftigkeit den Charme des unmittelbaren Entstehens, und die Bühne der literarisch bis dramatischen Schallereignisse befand sich zwischen den beiden Kapseln des Kopfhörers mitten im Kopf unserer Eltern, Groß- oder Urgroßeltern.

Die Radio-Pioniere der ersten Sendeanstalten kamen – wie es sich für enthusiastische Vorreiter gehört – aus eher entlegen zu nennenden beruflichen Sphären.
Zwei der ersten Rundfunkintendanten waren Ärzte – neben dem Röntgenarzt Dr. Hans Flesch (1896 in Frankfurt geboren – künstlerischer Leiter des SWR Frankfurt und später Intendant der Berliner Funkstunde – Mai 1945 in Berlin verschollen) war auch der in Köln gebürtige MIRAG-Gründer Dr. Erwin Jäger von Beruf Landarzt.
Der erste literarische Direktor der MIRAG, der damals gerade vierzigjährige Julius Witte, war Zeitungsredakteur und kam von den „Leipziger Neuen Nachrichten“, bei denen er zuletzt als Chefredakteur wirkte.
Witte hatte ehedem Volkswirtschaft studiert, sich mit bildender Kunst beschäftigt und an verschiedenen Theatern volontiert.

Noch im MIRAG-Sendestartmonat März 1924 hatte es zwei literarische Abende mit Goethe-und Heine-Texten („Egmont“: Monolog im Gefängnis; „Faust“: Studierzimmer – am 12. 3. 1924; Lyrik und Balladen – Heiteres und Satyrisches von H. Heine – am 27 3. 1924) gegeben, und im Spätsommer waren unter der Leitung von Kapellmeister Szendrei Sendespiele mit Dramen, die große Musiker zu Kompositionen inspiriert hatten, zur Aufführung gekommen (Ibsen/Grieg: „Peer Gynt“ – am 1. 8. 1924; Goethe/Beethoven: „Egmont“ – am 28. 8. 1924; Shakespeare/Mendelssohn: „Ein Sommernachtstraum“ – am 11. 9. 1924). Julius Witte tritt als Regisseur am 21. November 1924 mit Heinrich von Kleistss „Das Käthchen von Heilbronn“ auf den (Spiel)Plan. Ein glücklicher erster Griff. Die handfeste, deftige Gangart des Ritterspiels, in dem zu jedermanns Entzücken die zarte, hochernste Liebesgeschichte vom Verfallensein des Mädchens von Heilbronn zu dem Ritter von Strahl steckt, schien für die phantasiebeflügelnden Imaginationsmöglichkeiten des Radios wie geschaffen zu sein und entsprach Wittess Sendespielkonzept vom „lyrischen Seelendrama“.

Kritik und Publikum waren begeistert. „Das Käthchen von Heilbronn“ wurde von MIRAG-Hörern immer wieder gewünscht und stand deshalb in den ersten drei Leipziger Rundfunkjahren als absoluter Spitzenreiter ganze fünfmal auf dem Programm!
Dass sich ein Radiospielplan womöglich in anderer Weise als am Theater in Beziehung zum Publikum setzen müsste, ahnte Direktor Witte sehr wohl.
Bereits im Dezember 1924 schreibt er in einem Artikel im Funkalmanach:
„Der Rundfunk und sein Publikum stehen in einem ähnlichen Verhältnis wie das Theater und sein Publikum. Auch hier ist das vornehme Parkett mit dem Aufstieg zu den Höhen des Olymps vorhanden. Die Gliederung erfolgt nur in einer idealeren Weise, nämlich nicht durch den Mammon (weil jeder für 2 Mark im Monat sich im Parkett oder auf dem Olymp wohlfühlen kann), sondern je nach dem Maße der eigenen Genuß- und Bildungshungrigkeit. Aber wie im Theater, so kann es sich auch im Rundfunk ereignen: während das Parkett rasenden Beifall spendet, pfeift der Olymp, oder umgekehrt. Ich sage nicht, daß es so sein muß oder so sein braucht, aber so sein kann. Wird am Theater eine Oper, eine Operette, ein Schauspiel oder eine andere Darbietung gegeben, so geht nur der hin, der sich für das angekündigte Spiel interessiert. Zum Rundfunk geht aber keiner, sondern der Rundfunk kommt zu allen, zu allen direkt ins Heim! Und nun suche ich den Teilnehmer, der den Hörer hängen läßt, wenn auch etwas gefunkt wird, was seiner Geschmacksrichtung nicht entspricht. Lieber ,pfeift‘ er, manchmal durch Rückkoppelung, weil er partout nun einen anderen Sender haben will, manchmal durch einen Brief an die Sendeleitung. Beides ist gleich gern gesehen. Aus dem Gesagten geht hervor, wie schwierig die Programmgestaltung für die Leitung des Rundfunks ist. Viel schwerer als im Theater.“

Matthias Thalheim

Matthias Thalheim

1990 übernahm Thalheim in Leipzig die Leitung der Hörspielabteilung von Sachsen Radio. Danach verantwortete er von 1992 bis 2020 als Chef Künstlerisches Wort die Bereiche Hörspiel, Feature, Lesung, Kabarett und Kinderfunk bei MDR Kultur

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